An einem regnerischen
Sonntagmorgen im Spätherbst, als die Windböen draußen mit den bunten Blättern
kriegen spielten und einige besonders widerstandsfähige sich an ihren Ästen
festzuklammern schienen, lag ich in meinem Bett und ließ meine Gedanken an dem
Spiel des Windes teilhaben. Unmerklich zogen meine Gedanken zu den unterschiedlichsten
Szenen, mal zu einer sonnendurchfluteten Seenlandschaft, dann wieder in eine
große Einkaufsstraße, in der einige Menschen hektisch von einem Geschäft zum
nächsten hasten um dem grauen Wetter auszuweichen.
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Sonnenuntergang am Flughafen DUS |
Auch ein Blick auf
eine weitläufige Landebahn eines Flughafens im Morgengrauen mit den blinkenden
Positionsleuchten und der untergehenden Mondsichel am Horizont war in diesem
kuscheligen Bett eine Wonne.
Immer dabei am rechten
Rand der Szenen ist ein Kopf mit kurz geschnittenen Haaren, nur von hinten zu
sehen, aber nach kurzer Zeit erkenne ich den Kopf des Kindes. Eine Stimme die
leise spricht: „Aber die Frisur sitzt!“
Eine schnelle
Überblendung und in der nächsten Szene sehe ich den Kleinen im Bett liegen.
Erst dachte ich, er schliefe noch, doch bald erkannte ich, dass er sehr wach
ist und ich fragte mich, warum er, der doch in anderen Szenen so quirlig und
lebendig schien, nun fast apathisch und unbeweglich daliegt. Er rief etwas, und
selbst dabei bewegte sich nur sein Kopf etwas, und die Frau kommt an sein Bett,
streicht ihm beruhigend über den Kopf, redet auf ihn ein. Dabei weist sie
mehrmals auf die Eingangstüre, wobei sie die Bettdecke wegschiebt.
Was ich dort
sah, versetzte mir einen Schrecken. Der Knabe war soweit ich das sah, vollständig
eingegipst, von der Brust, über den Bauch ebenso wie beide Beine. Die Arme
konnte er noch bewegen, ansonsten jedoch nichts mehr. Zwischen den Beinen war
in dem Gips ein größeres Loch vorhanden, damit er über die dort liegende
Flasche, seine Notdurft befriedigen konnte. Die Frau nahm die Flasche weg und
ging um sie zu entleeren. Dem Kleinen, der nun eingegipst (aber doch entblößt)
da lag, sah ich die Ungeduld mit seinem jetzigen Zustand an.
Es war ihm
unendlich langweilig, alle möglichen Spiele hatte er schon gespielt um sich
abzulenken. Größere und kleinere Legobausteine hatte er um sich herum, doch was
wird im laufe von 8 langen Wochen nicht langweilig, wenn man so sehr in seiner
Bewegungsfähigkeit eingeschränkt wird. Die wöchentlichen Besuche des Arztes,
der sehr aufmerksam den Gesundheitszustand und die Entwicklung der Gesundung beobachtet
und bei jeder kleinsten Komplikation eine wirksame Behandlung durchführte, war
eine der wenigen interessanten Abwechslungen, die auch immer mit der Hoffnung verknüpft
waren, zu erfahren, wann denn der Gips abgemacht werden könnte.
Auch andere
Besucher kamen vorbei, die Erwachsenen sahen sich scheinbar immer mitfühlend den
wie mumifiziert aussehenden Körper oder vielmehr den Gipsverband an, doch lange
hielten sie sich damit nicht auf und wenn ihr Interesse an dem Leiden des
Kleinen gestillt war, sprachen sie ein paar gut gemeinte Worte, unterhielten
sich dann aber mit der Frau, versprachen nach einer Tasse Kaffee, bald wieder
zukommen und verschwanden. Da war der Besuch von den Verwandten mit ihren
Kindern schon besser, beim Spielen vergingen die trüben Gedanken und die Zeit
und wenn diese auch nach kurzer Zeit wieder gingen, so war es doch eine
Abwechslung und ich konnte sehen, wie er sich darüber gefreut hat. Viele der
Besucher strichen dem Kind tröstend über den Kopf, dabei hörte ich immer
wieder: „Aber die Frisur sitzt!“
Auch ein Pastor der
Gemeinde kam und beschäftigte sich eine ganze weile mit dem Buben. Die
Geschichten die er ihm erzählte, hatten immer einen Bezug zur Bibel und zu
Gott, der sicherlich ihn in seinem Gipsbett sah und die Heilung fördere. Zum
Schluss betete der Pastor noch und dann war auch dieser den Kleinen sehr
beeindruckende Besuch vorbei.
Nach 8 Wochen kamen
die Sanitäter wieder und trugen das Kind die 4 Etagen herunter und fuhren ihn
im Krankenwagen zur Arztpraxis, dort wurde der Oberteil des Gipses aufgeschnitten
und entfernt und weitere Röntgenaufnahmen zeigten eine Besserung, aber keine
endgültige Heilung, so dass eine weitere Zeit nunmehr in der unteren Schale des
Gipsbettes notwendig schien.
Erst nach weiteren Wochen waren die Hüftknochen
soweit verheilt, dass ein Belasten und damit Bewegen möglich war. Viele Wochen
später und viele Stunden mit physiologischer Behandlung und Übung, wurde klar,
dass nur minimale Einschränkungen bleiben würden.
Mit den Schritten, die
der Junge nun wieder lernen musste, kam auch bei mir an jenem Sonntagmorgen die
Schritte der Wirklichkeit an, die mich zurück holten und den Rest des Sonntags
mit der guten Erinnerung an diese doch gut ausgegangene Geschichte, zurück
lies.
Da hörte ich es
wieder:
„Aber die Frisur
sitzt!“
Und die Schritte: Klack
– Klack, Klack – Klack.