Die Zeit am Abend

Die Zeit am Abend wenn ich zu Bett gehe, noch bevor ich einschlafe, ist meine Zeit der Wachträume. Ich denke nach über den Tag und rutsche dabei in eine wie automatisch ablaufende Kinovorstellung. Ich nenne dies mein Kopfkino.
Immer wieder kommen dabei wiederkehrend Signale aus dem Leben, ich bezeichne sie als die Schritte der Wirklichkeit, die meine erlebten Traumgeschichten begleiten und den Anschluß an die Realität erhalten.

12. Oktober 2012

Werbung? – Teil 3



An einem regnerischen Sonntagmorgen im Spätherbst, als die Windböen draußen mit den bunten Blättern kriegen spielten und einige besonders widerstandsfähige sich an ihren Ästen festzuklammern schienen, lag ich in meinem Bett und ließ meine Gedanken an dem Spiel des Windes teilhaben. Unmerklich zogen meine Gedanken zu den unterschiedlichsten Szenen, mal zu einer sonnendurchfluteten Seenlandschaft, dann wieder in eine große Einkaufsstraße, in der einige Menschen hektisch von einem Geschäft zum nächsten hasten um dem grauen Wetter auszuweichen.

Sonnenuntergang am Flughafen DUS


Auch ein Blick auf eine weitläufige Landebahn eines Flughafens im Morgengrauen mit den blinkenden Positionsleuchten und der untergehenden Mondsichel am Horizont war in diesem kuscheligen Bett eine Wonne. 


Immer dabei am rechten Rand der Szenen ist ein Kopf mit kurz geschnittenen Haaren, nur von hinten zu sehen, aber nach kurzer Zeit erkenne ich den Kopf des Kindes. Eine Stimme die leise spricht: „Aber die Frisur sitzt!“

Eine schnelle Überblendung und in der nächsten Szene sehe ich den Kleinen im Bett liegen. Erst dachte ich, er schliefe noch, doch bald erkannte ich, dass er sehr wach ist und ich fragte mich, warum er, der doch in anderen Szenen so quirlig und lebendig schien, nun fast apathisch und unbeweglich daliegt. Er rief etwas, und selbst dabei bewegte sich nur sein Kopf etwas, und die Frau kommt an sein Bett, streicht ihm beruhigend über den Kopf, redet auf ihn ein. Dabei weist sie mehrmals auf die Eingangstüre, wobei sie die Bettdecke wegschiebt. 
Was ich dort sah, versetzte mir einen Schrecken. Der Knabe war soweit ich das sah, vollständig eingegipst, von der Brust, über den Bauch ebenso wie beide Beine. Die Arme konnte er noch bewegen, ansonsten jedoch nichts mehr. Zwischen den Beinen war in dem Gips ein größeres Loch vorhanden, damit er über die dort liegende Flasche, seine Notdurft befriedigen konnte. Die Frau nahm die Flasche weg und ging um sie zu entleeren. Dem Kleinen, der nun eingegipst (aber doch entblößt) da lag, sah ich die Ungeduld mit seinem jetzigen Zustand an. 
Es war ihm unendlich langweilig, alle möglichen Spiele hatte er schon gespielt um sich abzulenken. Größere und kleinere Legobausteine hatte er um sich herum, doch was wird im laufe von 8 langen Wochen nicht langweilig, wenn man so sehr in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt wird. Die wöchentlichen Besuche des Arztes, der sehr aufmerksam den Gesundheitszustand und die Entwicklung der Gesundung beobachtet und bei jeder kleinsten Komplikation eine wirksame Behandlung durchführte, war eine der wenigen interessanten Abwechslungen, die auch immer mit der Hoffnung verknüpft waren, zu erfahren, wann denn der Gips abgemacht werden könnte. 
Auch andere Besucher kamen vorbei, die Erwachsenen sahen sich scheinbar immer mitfühlend den wie mumifiziert aussehenden Körper oder vielmehr den Gipsverband an, doch lange hielten sie sich damit nicht auf und wenn ihr Interesse an dem Leiden des Kleinen gestillt war, sprachen sie ein paar gut gemeinte Worte, unterhielten sich dann aber mit der Frau, versprachen nach einer Tasse Kaffee, bald wieder zukommen und verschwanden. Da war der Besuch von den Verwandten mit ihren Kindern schon besser, beim Spielen vergingen die trüben Gedanken und die Zeit und wenn diese auch nach kurzer Zeit wieder gingen, so war es doch eine Abwechslung und ich konnte sehen, wie er sich darüber gefreut hat. Viele der Besucher strichen dem Kind tröstend über den Kopf, dabei hörte ich immer wieder: „Aber die Frisur sitzt!“

Auch ein Pastor der Gemeinde kam und beschäftigte sich eine ganze weile mit dem Buben. Die Geschichten die er ihm erzählte, hatten immer einen Bezug zur Bibel und zu Gott, der sicherlich ihn in seinem Gipsbett sah und die Heilung fördere. Zum Schluss betete der Pastor noch und dann war auch dieser den Kleinen sehr beeindruckende Besuch vorbei.

Nach 8 Wochen kamen die Sanitäter wieder und trugen das Kind die 4 Etagen herunter und fuhren ihn im Krankenwagen zur Arztpraxis, dort wurde der Oberteil des Gipses aufgeschnitten und entfernt und weitere Röntgenaufnahmen zeigten eine Besserung, aber keine endgültige Heilung, so dass eine weitere Zeit nunmehr in der unteren Schale des Gipsbettes notwendig schien. 
Erst nach weiteren Wochen waren die Hüftknochen soweit verheilt, dass ein Belasten und damit Bewegen möglich war. Viele Wochen später und viele Stunden mit physiologischer Behandlung und Übung, wurde klar, dass nur minimale Einschränkungen bleiben würden.

Mit den Schritten, die der Junge nun wieder lernen musste, kam auch bei mir an jenem Sonntagmorgen die Schritte der Wirklichkeit an, die mich zurück holten und den Rest des Sonntags mit der guten Erinnerung an diese doch gut ausgegangene Geschichte, zurück lies.
Da hörte ich es wieder:
„Aber die Frisur sitzt!“
Und die Schritte: Klack – Klack, Klack – Klack.